Meine Adipositas-Reise und Optifast

Vorwort
In diesem Blog geht es um meine Erlebnisse mit der leider immer häufiger werdenden Krankheit Adipositas, wie ich glücklicherweise an einen Wendepunkt gelangt bin und meine Erfahrungen mit Optifast bzw. dem Adipositas-Programm des Klinikums St. Georg Leipzig. Da dies keine Biographie werden soll, verzichte ich absichtlich darauf, zu persönlich zu werden oder auf mein Leben vor 2020 groß einzugehen. Es soll vermieden werden, dass sich bestimmte Personen nicht mit meiner damaligen Situation identifizieren können, weil sie nicht auf demselben Weg wie ich an diesen speziellen Punkt gelangt sind. Das Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, mich „öffentlich“ zu machen oder von meinen Erfahrungen zu berichten, sondern hoffentlich auch dem einen oder anderen Leser Mut zur Selbstreflexion zu machen. Adipositas gilt offiziell als unheilbar, aber das heißt nicht, dass wir deswegen aufgeben und nichts dagegen tun können!
Ich und mein altes Ich
Nur so viel zu mir: Ich bin Marcus, 33 (sehr bald 34) Jahre alt, 189 cm groß, wiege aktuell 128 kg (BMI 35,8), treibe viermal die Woche 45-60 Minuten Kraftsport, gehe einmal im Monat Wandern und mache täglich Spaziergänge. Das war aber nicht immer so…
Mein beschwerliches Leben vor 2020 kurz zusammengefasst in Stichpunkten:
- Höchstes Gewicht 192 kg (BMI 53,7)
- Den ganzen Tag nur rumsitzen
- Kein Sport
- Große Schalen Cornflakes zum Frühstück
- Essen auch spät nachts
- Weder geregelte Essenszeiten noch Schlafenszeiten
- Trinken und essen, was auch immer ich gerade Lust darauf habe
- Riesige Schalen an Essen verspeisen
- Zu Partys fast immer bis zum Filmriss betrunken
- Die Straße runter zum Konsum laufen brachte mich ins Schwitzen
Man muss kein Arzt sein, um zu sehen, dass das weit weg von einem gesunden Lebensstil ist. Das heißt aber nicht, dass es keine Möglichkeiten zur Besserung gab, nur wie so oft im Leben wird einem erst bewusst, dass man etwas hätte ändern können oder müssen, wenn es bereits zu spät ist. So aber zum Glück nicht hier!

2019
Es hat Klick gemacht
Was letztendlich der Auslöser für meine Entscheidung, etwas zu verändern, war, kann ich nicht genau sagen. Ob es nun daran lag, dass ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln vermehrt wegen meines Volumens beleidigt wurde, dass ich nirgendwo mehr hinlaufen konnte, ohne dabei schweißgebadet anzukommen, dass ich mir immer Sorgen machen musste, dass der Stuhl, auf dem ich gerade sitze, zusammenzubrechen droht, dass ich bei sexuellen Aktivitäten Schwierigkeiten hatte oder dass ich körperlich immer eingeschränkter wurde… ich weiß es nicht genau. Was ich aber weiß, ist, dass es angefangen hat, als ich mit meinem Bruder zusammengezogen bin; ab da hat sich dann alles verändert.

2019
Aller Anfang ist schwer
Dank einer Chance, mit 30 mit meinem Bruder zusammenzuziehen, öffneten mir sich plötzlich viele neue Türen. Zum einen war die neue Umgebung ein frischer Start, der sich gut anfühlte, zum anderen ergriff ich den Mut, mit Freunden und meinem Bruder mal probeweise ins Fitnessstudio zu gehen – was konnte schon schiefgehen?
Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass mir das irgendwo gut tut, auf eine Weise, die ich vorher nicht kannte. Selbstverständlich war es überaus anstrengend, meinen 192 kg schweren Körper überhaupt dorthin zu schleppen, aber ich habe die Zähne zusammengebissen und es einfach durchgezogen.
Dreimal pro Woche Fitnessstudio hieß der neue Lebensstil. Natürlich wurde zeitgleich auch noch auf die Ernährung geschaut, und dank unserer Fitness-App hieß die neue Devise 3200 Kalorien pro Tag. Das mag jetzt für den einen oder anderen krass viel klingen, auch für mich klingt es heute utopisch, aber ich habe damit in zwei Jahren 20 kg abgenommen.
Es lief irgendwie, und ich habe nur wenig darauf geachtet, was ich gegessen habe – Hauptsache, die Kalorien stimmen. Da mir das Kochen Spaß macht, haben wir natürlich viele neue Rezepte probiert, und was das Trinken angeht, bin ich eh schon länger auf Wasser als Hauptgetränk umgestiegen.
Doch irgendwann kann man mit so vielen Kalorien nicht mehr abnehmen, und so stagnierte mein Gewicht bei ungefähr 172 kg, was mich natürlich nicht sehr gefreut hat, denn ich wollte mehr. Der Ehrgeiz der in mir geweckt wurde, wurde mehr befriedigt.

2021
Optifast und das Adipositas-Programm des St. Georg Leipzig
Mein Hausarzt hatte mir schon länger geraten, mir Hilfe zu suchen, aber ich war immer der Meinung, dass ich es auch alleine weiterhin so schaffe wie in den Jahren zuvor. Anfang 2023 stellte sich allerdings heraus, dass ich Bluthochdruck habe und sich langsam aber sicher körperliche Beschwerden vermehrten, trotz meines mittlerweile viermal wöchentlichen Kraftsports und meines Erfolgs der letzten Jahre. Das Programm an sich geht ein Jahr lang und besteht aus sechs Monaten wöchentlichen Gruppentreffen in der Einrichtung, danach nur noch einmal monatlich, was für mich eigentlich ganz angenehm klang.
So kam eins zum anderen, und ich habe dann doch endlich nachgegeben und mich unverzüglich an das Adipositas-Programm des St. Georg gewendet. Nach einem kurzen Gespräch wurde ich eingeladen, und es gab einige Tests, darunter auch einen psychologischen, um festzustellen, ob ich für das Programm geeignet bin.

Zum Glück war dies der Fall, und ich würde am 13.03.2023 offiziell mit dem Programm beginnen. Zwei Wochen vorher gab es noch einen stationären Aufenthalt mit einem Gesundheits-Checkup, Röntgen, EKG etc. Natürlich gab es am Wochenende, bevor es losging, noch eine „Henkersmahlzeit“, typisches All-you-can-eat mit Freunden.
Los ging das Programm mit einer sogenannten Formulaphase, einer Intensiv-Diät mit einem Pulver, das sich Optifast nennt. Ich hatte vorher noch nie davon gehört, auch wenn ich Nestlé-Produkte natürlich kenne. Nun hieß es für die nächsten 112 Tage vier Beutel am Tag, alle vier Stunden einer, wobei jeder genau 212 Kalorien hat, was pro Tag 848 Kalorien ergibt. Nicht viel für einen erwachsenen Menschen, aber gerade so genug, um noch irgendwie zu funktionieren. Sport wurde natürlich trotzdem weitergemacht, wenn auch in abgeschwächter Form, und ich begann damit, täglich Spaziergänge zu machen, was mir dank meines Gewichts anfangs gar nicht so leicht fiel.
Von Optifast gab es zu diesem Zeitpunkt verschiedenste Suppen, Shakes und Cremes, und für mich wurde früh klar, dass ich die Suppen nicht runterbekomme, also gab es für mich ausschließlich Shakes und Cremes. Trotz vieler Geburtstage und Partys bin ich aber knallhart geblieben und habe wirklich ausschließlich meine Flüssignahrung zu mir genommen. So konnte ich in dieser Zeit ungefähr 35 kg abnehmen, was natürlich ein voller Erfolg für mich war.

Darauf folgte dann die Umstellungsphase, also die Phase, bei der wir langsam aber stetig wieder feste Nahrung zu uns genommen haben. Zu dieser Zeit bestand die Nahrungsaufnahme immer noch aus Optifast, aber wir konnten nach und nach einen der Beutel durch „echte“ Nahrung ersetzen.
Von jetzt an hieß es, wann immer möglich, 50% Gemüse zu jeder Mahlzeit einzubauen, und dank der langsamen Herangehensweise und dem „Reset“ durch Optifast hatte ich damit auch wenig bis gar keine Probleme. Wir bekamen viele verschiedene Rezepte, die wir ausprobieren konnten und die für unsere derzeitigen Kalorien angepasst waren. In diesen weiteren 98 Tagen verlor ich weitere 9 kg.

2023
Als letztes kam dann die sogenannte Stabilisierungsphase, bei der es darum ging, das Gelernte zu festigen und das Gewicht zu stabilisieren. Von hier an trafen wir uns nur noch einmal pro Monat, was ich nach den wöchentlichen Treffen als angemessen empfand. Ich stieg um auf drei Mahlzeiten pro Tag und habe mich mit anfänglichen 1200 Kalorien vorsichtig auf 1500 bis 1800 Kalorien hochgearbeitet und gleichzeitig beim Kraftsport wieder ordentlich angezogen. Auch habe ich hier das Wandern für mich entdeckt, was ich jetzt mindestens einmal pro Monat tue.
Auch das habe ich erfolgreich gemeistert, und so gelangte ich zu meinen jetzigen 128 kg, welche ich bisher auch sehr gut halten kann. Allerdings endet meine Reise hier nicht, denn wie am Anfang erwähnt, begleitet einen die Krankheit Adipositas ein Leben lang. Leider habe ich viel zu spät bemerkt, wie sehr das Gewicht meinen Alltag verschlechtert und meine Lebenserwartung drastisch senkt, aber besser spät als nie!

2020 | 2024
Meine persönlichen Tipps und Tricks, um Gewicht zu verlieren und es auch zu halten, in Stichpunkten:
- 2-3 Liter Wasser/Tee/Kaffee (ungesüßt) pro Tag
- 7-8 Stunden Schlaf (sehr wichtig!)
- Meal Prepping, also das Vorbereiten von Essen für die kommende Woche, eingeteilt in Behälter. Lässt sich perfekt portionieren und verhindert, dass man zu viel isst
- Mindestens sein eigenes Gewicht in Gramm an Eiweiß pro Tag (also 128 g bei 128 kg)
- Feste Essenszeiten, 3-4 Mahlzeiten pro Tag
- Kein Snacking zwischen den Mahlzeiten
- 50% Gemüse zu jeder Mahlzeit
- Nach 20 Uhr nichts mehr essen
- Abends Kohlenhydrate vermeiden
- Wöchentlich mindestens 150 Minuten körperliche Aktivität, moderate Intensität
- Weniger oder genau so viele Kalorien essen wie es der eigene Grundumsatz bedarf
Auch ich bin nicht perfekt, ich esse trotzdem ab und an süße oder salziges Snacks. Meine Devise ist: Man kann alles essen, nur eben in Maßen, natürlich klappt das nicht für jeden. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich kein Experte bin. Ich befolge lediglich die Ratschläge des Adipositas Programms und habe die Dinge oben für mich als wirksam entdeckt, aber es könnte dem einen oder anderen nicht schaden, etwas davon einfach mal auszuprobieren!
Schluss? Ja, Schluss!
Natürlich geht es für mich jetzt noch weiter. Mein aktuelles Ziel ist es, 120 kg zu erreichen und danach vielleicht sogar noch die 110 ins Visier zu nehmen, außerdem möchte ich mich noch mehr bewegen. Vielleicht update ich diesen Blog noch mal, versprechen kann ich aber nichts! Zum Schluss möchte ich mich noch bei den Leuten bedanken, die mir auf meiner Reise geholfen haben.
Danke an das kompetente Adipositas Team des St. Georg Klinikum Leipzig, das mir über das Jahr wirklich sehr geholfen hat, danke an meine Mitstreiter im Programm, welche mir ein Gefühl der Zugehörigkeit gaben und mir zur Seite standen, danke an meine Freunde und Familie, die mich natürlich auch unterstützt haben aber vor allem nicht unnötig verführt haben zu essen, wenn ich es nicht wollte/nicht konnte, und ein besonderes Dankeschön an meinen Bruder, der mir viele Türen geöffnet hat. Ohne ihn wäre ich nicht da, wo ich heute bin.
Euer Marcus
